Die Ablösung der Social Networks
Das ganze Netz ein Social Network! Das
ganze Netz? Der Wunschtraum von Mark
Zuckerberg, dass alle Welt ihr digitales
Leben mit Facebook organisiert, ist von der
Realisierung weiter entfernt, als man noch
vor Kurzem hätte vermuten können. Selbst
Zuckerbergs Firma macht sich bereits zu
neuen Gefilden auf, um die User wenigstens
bei hauseigenen Diensten zu halten.
Denn soziale Netzwerke kommen bei jungen
Nutzern nicht mehr so gut an.
Studien aus dem vergangenen Jahr legen
nahe, dass der Hype um Facebook zumindest
in den USA und Europa vorbei ist. Aktuelle
Zahlen belegen den Trend: Im Rahmen
der JIM-Studie werden seit 1998 jährlich
rund 1000 12- bis 19-Jährige Deutsche
zu ihrem Umgang mit Medien und Information
befragt. Die Forscher des medienpädagogischen
Forschungsverbunds Südwest
stellten Ende 2014 fest, dass die Relevanz
von Facebook durch die starke Verbreitung
von WhatsApp gesunken ist:
"Auch die Zahl der Freunde in sozialen
Netzwerken hat sich von 290 im Vorjahr
auf 256 reduziert."
Auch im Ranking einer Bitkom-Untersuchung
schlägt WhatsApp Facebook in
Deutschland um Längen. Und das in allen
Altergsruppen der Jugendlichen bis 16 Jahren
- erst bei Älteren kann Facebook noch
seinen Spitzenplatz verteidigen.
In Deutschland griffen zudem 2014 erstmals
mehr Jugendliche mobil aufs Internet
zu als vom PC aus: "86 Prozent nutzten
innerhalb von 14 Tagen das Internet mit
einem mobilen Telefon. Damit werden
Computer beziehungsweise Laptops mit
82 Prozent auf den zweiten Rang verwiesen",
lautet ein weiteres Ergebnis der JIMStudie.
Fürs Verbreiten von Bildern wird
Instagram oder Snapchat genutzt, für die
Kommunikation lieber WhatsApp als
Facebook.
WhatsApp-Gründer Jan Koum selbst verkündete
jüngst Erfolgszahlen. Derzeit seien 700
Millionen Menschen registriert, die Tag für
Tag rund 30 Milliarden Nachrichten verschicken.
Selbst Facebooks Messenger kommt
gerade mal auf 500 Millionen Nutzer.
Der US-amerikanische Finanzinvestor Fred
Wilson, dessen Prognosen viel Bedeutung
haben, postulierte Anfang Januar 2015:
"Messaging is the new social media!" Wenn
dem so ist, hat Facebook alles richtig gemacht
und bei den teuren Zukäufen von
WhatsApp und Instagram auf exakt die richtigen
Pferde gesetzt. Dabei sticht Facebook
mit seinen Töchtern auch viele andere Unternehmen
aus, die ebenfalls beim Thema
Messaging mitmischen. So gibt es mit
Viber, WeChat, Line und KakaoTalk mehrere
Mitbewerber mit mehr als 100 Millionen
Benutzern. Insbesondere Line, das mehr als
500 Millionen Anwender weltweit einsetzen,
versucht verstärkt auf dem deutschen
Markt Fuß zu fassen. Seit dem Dezember
kann man mit Line auch mobil bezahlen.
Lesebereitschaft und die Verweildauer sinken
Sorgen bereitet diese Entwicklung allen, die
vom weltweiten Mitmach-Netz schwärmen.
Denn wenn tatsächlich bald kaum noch
vom PC aus gesurft wird, hat das auch Konsequenzen
für die Nutzungsarten: Statt langer
Postings kurze Nachrichten, Meinungsfetzen
statt Diskussionen, Bilder statt Blog-
Beiträgen. Nach Meinung der Wikimedia-
Kuratorin Phoebe Ayers bemerkt man den
mobilen Häppchen-Konsum auch bei der
Wikipedia-Nutzung. In ihrem Blog beschrieb
sie jüngst, dass die Zugriffe von Desktop-
Browsern ungefähr so abnehmen, wie die
mobile Nutzung zunimmt. Allerdings sinke
die Lesebereitschaft und die Verweildauer.
Es stehe zu befürchten, dass die Mitmachlust
umso mehr sinke, je mehr Tablet- und
Smartphone-Browser für den Zugriff genutzt
würden. (Jo Bager/Holger Bleich)
Aus c't 5/2015 Seite 83
|
|